Text, WamS, 2013

Für Buddha und den Punk

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Ihrem Land wurde vor kurzem die Freiheit versprochen, doch der Aktivist und der Musiker trauen der neuen Regierung nicht über den Weg. Mit ihrem je eigenen Set aus Kunst und Politik spielen sie um ihre ganz persönliche Freiheit

Diesmal haben sie ihn erwischt. Auf einer Straße in Rangun haben sie den Aktivisten erkannt, herumgestoßen und ihre Waffen auf ihn gerichtet. Zehn Tage Gefängnis, sieben davon in Einzelhaft. Seit er nun auf Kaution draußen ist, laufen mehrere Verfahren im Wert von insgesamt fast 14 Jahren gegen ihn. In Myanmar darf man jetzt zwar demonstrieren, aber nur wenn man eine Genehmigung dafür hat und Moe Thwei hat nicht immer eine. Dann demonstriert er trotzdem. Schließlich will er sich von der neuen Regierung nicht die Freiheit verbieten lassen.

Vergangenen Winter, als der Aktivist verhaftet wurde, tourte der Musiker mit seiner IndiePunk-Band durch Deutschland. Die Birmanen rockten Clubs in Berlin und Hamburg, sahen den ersten Schnee ihres Lebens und verliebten sich in deutsche Würste und Mädels. Darko schmeckte zum ersten Mal wie sich ein Musikerleben auch anfühlen kann: Bejubelt von einer begeisterten Menge. Zuhause in Myanmar weist eine starre Bürokratie und Kultur die Indie-Szene in enge Schranken. Unzensierte Konzerte darf man dort nun zwar geben. Allerdings nur, wenn man eine Genehmigung dafür hat und Darko hat immer eine. Schließlich will er sich von der neuen Regierung nicht die kleine, gerade gewonnene Freiheit wieder nehmen lassen.

Vor der Revolution von 2007 spielten Moe Thwei und Darko auf den selben Bühnen Ranguns. Über Nirvana konnten sie schon damals stundenlang reden – über das buddhistische, das die absolute Freiheit verspricht, und über die Band aus den USA. Heute trägt der Aktivist ein Nirvana-Tattoo auf dem linken Unterarm, der Musiker hat sich Kurt Cobain lebensgroß ins Wohnzimmer gehängt. Auch wenn sie sie unterschiedlich ausleben: Freiheit beginnt für beide im Kopf. Der Kampf um sie begann 2007, als Militärs auf friedlich demonstrierende Mönche schossen. Bis heute hat er für sie nicht aufgehört.
Mehr als ein halbes Jahrhundert herrschte in Myanmar eine grausame Militärdiktatur, die ihre Menschen für ein falsches Wort jahrelang hinter Gittern vor sich hin rotten lies oder gleich erschoss. Der Aufstand der Mönche änderte nicht unmittelbar etwas daran, doch dann gab es 2010 doch die ersten freien Wahlen. Aung San Su Kyi, die Ikone der Demokratiebewegung, wurde aus ihrem jahrelangen Hausarrest entlassen, Meinungsfreiheit zugelassen, die Zensur aufgehoben und seit ein paar Monaten gibt es nun sogar private Medien. Am Anfang all dieser Reformen hatte die Diktatur angekündigt sich selbst abzuschaffen. Ein weltgeschichtlich ungeheuerlicher Akt, dem viele bis heute nicht trauen. Auch Darko und Moe Thwei nicht.

Moe Thwei, der Aktivist, gründete während der Revolution eine Widerstandsgruppe. Generation Wave heißt sie noch heute. Ihre Waffen gegen die Regierung waren und sind Flugblätter, Demos und Rocksongs, die auch bei der BBC liefen. 27 Mitglieder seiner Gruppe wurden 2007 verhaftet und bis zu fast 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Moe Thwei selbst konnte nach Thailand fliehen. Dort wurde er zum überzeugten Buddhisten, auf der Suche nach der absoluten Freiheit. Jetzt ist er 32, trägt halblange Haare, einen Holzkreisohring, kurze Baggyhosen und T-Shirt. Moe Thwei lebt im Haus seiner Eltern, beide Akademiker. Sie unterstützen ihn in seinem Tun.

Darko ging am Anfang noch mit auf Demonstrationen, hat dann die Freiheit aber immer mehr in der Musik gesucht. Heute lebt er mit seiner Frau zusammen und verdient sein Geld im Yazuna Plaza, einem bienenstockartigen Einkaufszentrum aus acht Etagen und hunderten von Läden. Er ist jetzt 31, trägt kurze Haare, Hemd, Jeans und das Logo seiner Band als Tattoo auf dem linken Unterarm. Meistens lacht oder grinst er. Sein Schneiderladen ist in der dritten Etage in einer Ecke, die von der Luft der Klimaanlage kaum erreicht wird. 2007 beobachtete er hier nervös seinen Freund Moe Thwei bei dessen erster öffentlichen Aktion außerhalb einer öffentlichen Toilette. Moe Thwei warf von der höchsten Balustrade Flugblätter in den Bauch des Plazas und rannte davon. Darko fieberte mit.
Heute kann er Songs veröffentlichen ohne sie vorher von der Zensur überprüfen lassen zu müssen. „Es hat sich was getan, ja. Aber es muss immer noch freier werden.“ Er denkt dabei vor allem an die Bürokratie und die Korruption. In ein paar Tagen will Side Effect ein Konzert spielen, und hat noch immer keine Genehmigung dafür. Seit Wochen rennt Darko schon durch die Behörden, um sämtliche Bescheinigungen, Unterlagen, Zettel und Stempel zusammen zu sammeln. „Reine Schikane.“
Überall, wo er hinkommt wollen sie Geld von ihm, ohne Quittung und „zur Beschleunigung des Prozesses“. Insgesamt knapp 70 Euro, viel Geld in einem Land, dessen Durchschnittseinkommen bei 35 Euro im Monat liegt. Er fühlt sich machtlos. So gerne würde er ihnen das Geld verweigern und Dinge entgegnen wie: „Erst wenn diese Gebühr im Gesetz steht und ich eine Quittung dafür bekomme, dann gebe ich euch das Geld.“ Doch dann muss er an die vielen frustrierenden Erlebnisse im burmesischen Bürokratieautomaten denken und an Kafkas Prozess, nach dessen Hauptfigur sich der zweite Gitarrist von Side Effect, Josef, benannt hat. Also schluckt Darko seine Wut und zahlt. Das Konzert ist wichtiger. „Aber vielleicht, wenn wir Musiker alle nacheinander zu ihnen gehen und ihr Spielchen nicht mitspielen, vielleicht werden sie sich dann ändern.“
Der Musiker will aufbegehren, aber nur soweit wie es seiner Musik nicht schadet. Er geht auf Demos, postet politische Statements auf facebook, aber seine Musik hält er davon frei: „Wir sind keine politische Band.“ Er mache Musik allein für die Musik, sagt er. Trotzdem ist Punk auch in Myanmar eine Protestkultur. Gegen das Establishment und gegen alte Denkschablonen. Darko braucht keine Punkinsignien dafür, aber auf den Straßen Ranguns und auch in mancher Kleinstadt sieht man sie: die bunten Irokesenbürsten, Nietengürtel, Lederjacken. Und immer wieder auch ein Hakenkreuz oder Hitlerkonterfei. „Ach, das sind dumme Kids, die versteh’n das nicht“, sagt Darko. „Die wissen gar nicht was da überhaupt passiert ist. Sie wollen einfach böse sein.“ Und Hitler ist nunmal das Urböse.

Für den Aktivisten liegt die Freiheit in der Politik. Er will echte Bürgerrechte, ein echtes Demonstrationsrecht, bei dem man nicht für unangemeldete Demos verklagt wird. Im Schnitt ist er zweimal pro Woche in irgendeinem Gericht. Für eine Demo, die durch zehn Stadtteile ging, muss er zehn Verfahren bestreiten, jeder Stadtteil hat ihn einzeln angeklagt. Heute aber geht es um eine Demo gegen Menschenrechtsverletzungen im Konflikt zwischen der Regierung und den Kachin, einer ethnischen Minderheit. Mit anderen Angeklagten und den Anwälten sitzt der Aktivist draußen vor dem Gericht auf Plastikhockern, trinkt Pulverkaffee, raucht und diskutiert über Aung San Suu Kyi. Viel halten sie nicht mehr von ihr.
„Vor dem Gefängnis hab ich keine Angst“, Moe Thwei klingt amüsiert. „Das ist hier wie ein Brauch. Wenn du nie im Gefängnis warst, akzeptieren sie dich nicht wirklich als Politiker.“ Er lacht, manchmal findet er sein Land komisch. Sie werden zur Verhandlung gerufen, in einen schimmeligen Raum mit hohen Decken und einem leise flappenden Ventilator. Die Zeugen erscheinen nicht, die Verhandlung wird vertagt. Zum wievielten Mal? Moe Thwei weiß es nicht.
Er glaubt nicht an die neue Regierung. „Sie sind wie David Copperfield. Sie wissen wie man zaubert und trickst.“ Aber seine verhafteten 27 Mitstreiter und viele andere politische Gefangene wurden frei gelassen. Ist Myanmar nicht doch freier geworden?
„Ja, aber nur ein bisschen“, sagt der Aktivist beim Mittagessen mit den anderen fünf jungen Angeklagten. In einem Teehaus gibt es Hühnchen mit Reis und Avokadomilchshake. Einer zieht zum Zahlen das gemeinsame Spesenportemonnaie von Generation Wave hervor. Fast stellt sich ein Klassenfahrtgefühl ein, würde die politische Bildung nicht am eigenen Leib der Teilnehmer durchgeführt. „Das ist immer noch eine Diktatur. Früher haben sie uns mit Waffen unterdrückt, jetzt unterdrücken sie uns mit ihren selbst gemachten Gesetzen.“ Der Aktivist will das ändern und in die Politik. Am liebsten würde er vorher noch einmal nach Deutschland und Philosophie studieren. Heidegger hat es ihm angetan. Die Freiheit. Das Sein. Aber wegen der laufenden Verfahren kann er das Land nicht verlassen.

Darko war schon da, ganz legal ist er durch Deutschland getourt, auf Einladung des Goethe-Instituts. Heidegger ist ihm nicht begegnet, aber viele Fans von Indie-Punk-Musik. „Es war echt exotisch“, sagt er ein paar Monate später in einem Proberaum in Rangun. Doch der Lebensstil in Deutschland hat Darko geschockt: „Immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und irgendwelchen Bedürfnissen und Wünschen hinterherrennen.“ Für ihn eher ein physischer als ein spiritueller Ort. „Die Leute haben überhaupt keine Zeit für Freunde und Familie. Das finde ich irgendwie traurig.“ Vor dem deutschen Gast zieht er entschuldigend die Schultern hoch und zupft an seiner Gitarre herum. In der Fremde hat er gemerkt, dass er sein Land eigentlich doch ganz ok findet, auch wenn er immer wieder mit ihm kämpft.
Im Proberaum sind alle barfuß. Ein Dutzend FlipFlops stehen im Vorraum vor einer mintgrünen Wand, direkt unter dem Buddha Schrein und neben der Tafel mit dem Zeitplan für die verschiedenen Bands. Vor ihnen waren Shock Wave dran. Danach kommen The Hell. Der Schlagzeuger von Side Effect, The Thoo, drischt schon euphorisch auf die Drums ein. Er will jede Minute hier nutzen. Sie können sich nur zwei bis drei Stunden Probe pro Woche leisten und zu Hause hat er kein Schlagzeug.
Die Nacht zuvor konnte Darko nicht schlafen. „Manchmal frage ich mich schon, was wir hier eigentlich machen. Sind wir wirklich gut?“ Er probiert seine Stimme am Mikrophon aus. „Und wer bin ich überhaupt? Bin ich der Typ aus dem Schneiderladen oder bin ich der Musiker?“ Myanmar ist nicht das beste Land für IndiePunk. Der musikalische Mainstream besteht aus schnulzigen Coversongs und die Subkultur hat strenge Geschmackskategorien. Entweder man ist Punk oder Metaller oder Hiphoper. Da hat man es schwer als Musiker, der nicht in Schubladen denken will. „Wir wollen, dass die Leute wieder selber denken und nicht irgendwem oder irgendwas stumpf hinterher rennen. Aber selber denken, war Jahrzehnte lang verboten in Myanmar.“ Darkos großer Traum ist es, eine Bar aufzumachen, in die kommen kann, wer will. In der spielen kann, wer will und in der man reden kann, worüber man will.
Er muss los. Besondere Basssaiten sind aus New York eingetroffen und der Bote nur für einen Tag in Rangun. Eigentlich wollte der Musiker heute Nachmittag zusammen mit dem Aktivisten auf eine Gedenkfeier gehen, die an demonstrierende Studenten erinnert, die von Soldaten erschossen wurden. Doch die Basssaiten sind jetzt wichtiger.

Der Aktivist geht alleine zur Gedenkfeier. In dem Park, neben der Brücke, durch die vor 25 Jahren das Blut der Studenten floss, sind schon ein paar hundert Leute. Um sie herum stehen Schaulustige, unter ihnen circa 20 Männer in dunklen Hemden und Hosen, die alles fotografieren. „Ach, das ist der Geheimdienst“, winkt Moe Thwei ab. „Die versuchen uns einzuschüchtern, aber sie können uns nichts.“ Die Gedenkfeier ist angemeldet. „Wir machen das hier, damit die Menschen nicht vergessen zu was Regierungen fähig sind, besonders birmanische Regierungen.“
Am Abend treffen sich der Aktivist und der Musiker dann doch noch. In der 21ten Straße in China-Town. Auch die anderen Jungs von „Side Effect“ sind gekommen. Die 21te Straße flirrt. Sie scheint nur aus Restaurants zu bestehen. Überall sind Menschen. Es gibt Bier und Grillspieße. Hier treffen sich die Intellektuellen, die Künstler und die wenigen Minirockträgerinnen der Stadt.
Der Musiker bestellt Bier, der Aktivist einen Erdbeermilchshake. Sie erzählen sich von ihrem Tag. Darko wäre wirklich gerne zur Gedenkfeier gekommen, aber nun ja, die Basssaiten. Moe Thwei erzählt, dass er bald wieder eine Band gründen will. Die ersten Songs hat er schon geschrieben und eins davon neulich sogar mit Iron Cross, einer der bekanntesten Rockbands Myanmars, aufgenommen. Jetzt sucht er langsam nach Musikern. „Ja, Mann! Dann können wir endlich mal wieder zusammen spielen“, Darko berührt ihn freundschaftlich an der Schulter.
Der Aktivist verabschiedet sich. Er ist müde. Darko zieht mit seinen Leuten weiter. Doch da gibt es in Rangun nicht viele Möglichkeiten, nachts um halb 12. Die meisten Läden haben schon zu. Also gehen sie mit ein paar Dosen Bier zu einem See der Stadt, ziemlich genau an die Stelle, an der der Aktivist heute Mittag eine Rose niedergelegt hat. Das Ranguner Nachtleben ist spärlich und teuer für kleine Geldbeutel.
Der Musiker blickt auf die rote Brücke. „Während der Revolution, da hab ich mir auch überlegt in den politischen Widerstand zu gehen. Aber dann dacht ich mir, das ist doch sinnlos. Sie erschießen dich und dann kannst du gar nichts mehr machen.“
Mittlerweile ist die Wahrscheinlichkeit erschossen zu werden ziemlich gering in Myanmar, Gründe für die Freiheit zu kämpfen aber gibt es noch genügend.